Sie sind der Inbegriff des kleinen und feinen Handwerks. Doch seit vielen Jahren schon stehen unsere heimischen Brenner mit ihren Obstbränden und den sonstigen Edeldestillaten im Schatten von Gin, Rum und Whisky. Als wären sie die Vertreter einer Welt von vorgestern.
Foto: Felix Groteloh
Wirklich? Oder sind sie nicht doch eher diejenigen, die all das in sich vereinen, was heute en vogue ist, nämlich klein, individuell, vielfältig und brutal lokal. Unser DRINKS Trend-Forum plädiert für eine Neubesinnung.
Bereits in der vorletzten Ausgabe dieses Magazins widmeten wir unsere Cocktailstrecke den Obstbränden. Und das war keine bloße Spinnerei. Wer etwas mehr den Wind in der Nase der Entwicklungen in der Bar- und Spirituosenwelt hält, dem kann nicht entgehen, dass sich das Interesse gerade jüngerer Akteure in der Szene wieder vermehrt dem heimischen Edelbrand zuwen-det. Sollte etwa das verstaubte Image vergangener Tage plötzlich verflogen sein? Und doch ist es immer wieder noch etwas anderes, wenn man sich in solchen Dingen nicht allein den Kopf zerbricht. So geschehen unlängst zu dritt in den Räumen der Spirituosenakademie von Arthur Nägele in Rheineck, dort nicht nur als Ausbildungsleiter tätig, sondern per se ein über die Landesgrenzen hinweg bekannter Spirituosenexperte, nicht zu reden von seinem langjährigen Faible und Engagement für die Obstbrände. Ebenso dabei: Patrick „Paco“ Braun, den unsere Leser als kreativen Kopf unserer Cocktailstrecke kennen dürften. Hauptberuflich jettet der leidenschaftliche Barmann und Spirituosensommelier als Langstrecken-Purser um die Welt. Das gibt ihm den besonderen Weitblick, was ihn aber umso mehr zum Fürsprecher der heimischen Obstbrände macht. Aus Termingründen fehlte indessen Thomas Weinberger, früher bekannter Barmann und Ausbilder, heute im Marketing der Brennerei Lantenhammer tätig. Trotz seines Fehlens flossen seine Voten in dieses Trend Forum mit ein. Für das DRINKS-Magazin saß derweil Autor Heinfried Tacke mit in der Forumsrunde.
Zeitliche Wellen. Die Post Gin Generation
Blickt man auf die Obstbrände im Laufe der letzten Jahrzehnte, so war sich die Runde in einer Hinsicht sofort einig. Die Edelbrände heimischer Produktion erlebten schon mal große Tage, in denen sich die Gourmets und Feinschmecker um sie nahezu rissen. Man denke nur an die berühmten Wägelchen nach dem Essen für den liquiden Supergenuss danach. Da durften sie, diese Edeldestillate aus heimischer Flora, nicht fehlen. Und heute? Arthur Nägele prophezeit eine Gegenbewegung. Was einst von der nachwachsenden Generation als verstaubt abgetan wurde, wird von der nun nachwachsenden Generation gern huldigend als neu und megacool entdeckt. „Das geschieht oft in immer gleichen Wellen“, so der gebürtige Vorarlberger.
Und in diese Beschreibung fügte sich auch die weitere Einordnung der Runde: Allen voran in der Gourmetszene setzt man auf regionale Spezialitäten bis hin zum radikalen Credo: „Brutal Lokal!“ Wie man generell aktuell eine Bevorzugung des Kleinhandwerks (Stichwort: Craft“) wahrnehmen kann im Gegensatz zu großen Namen und Big Playern, die mit dem Verdikt des allgegenwärtigen Mainstreams zurechtkommen müssen. Man sucht das Neue und ganz und gar Originelle, also das, wovon keiner sonst redet. Nur so scheint man überhaupt noch auf sich aufmerksam machen zu können angesichts von Nachrichtenfluten via Social Media und mehr. Kurzum: Das Individuelle und Ultra-Besondere rockt! Selbst der nahezu schon epische Hype um Gin funktioniert unter dieser Prämisse. Doch die Suche nach Alternativen ist längst im vollen Gange. Und das artikuliert sich nicht nur im starken Zuspruch zu Rum und Whisky. Die Finesse selbst gewonnener Aromen mittels Vakuum-Destillierapparat als neuester Schrei der ambitionierten Barwelt zeigt den tatsächlichen Trend auf: Die Post Gin Genration ist vor allem auf dem Trip der „Flavoured Spirits“ – welcher Couleur auch immer.
Flavoured Spirits & Brutal Lokal
Doch bevor man nun auf diesen eruierten Spuren auch den Obstbränden eine neue, große Zukunft verspricht, muss man sich doch noch etwas mehr mit ihnen selbst befassen. Heißt: Von wo kommen sie? Wo stehen sie im Moment? Welchen Maßstäben folgen sie?
Arthur Nägele beschreibt es so: „Früher zeigten sich die Obstbrände sehr traditionell. Die mussten kräftig sein, sehr breit bis fast schon breitbeinig, mit intensiven, fast überreifen Aromen. Erst später, dann aber bis in die heutige Zeit hinein, hat sich die Vorstellung von sehr sauber und klar gebrannten Edeldestillaten durchgesetzt. Man sucht das Elegante, Filigrane und so eher die Finesse in den Aromen. Das ist gerade als Kleinhandwerk ein faszinierendes Tun, aber am Ende wahnsinnig aufwendig und kostenintensiv und insofern ziemlich blöd, wenn das keiner mehr zu würdigen weiß. Das war früher sicher anders.“ Will heißen: Gin ist für den Brenner um ein Vielfaches einfacher herzustellen. Und Gleiches gilt für Rum und Whisky. Auch wenn man es nicht glauben mag, doch Kosten und Aufwand für diese oft deutlich teurer verkauften Produkte sind für den Brenner nicht selten viel geringer als bei meisten Obstbränden. Allein das schreit schon nach einer fundamentalen Neubewertung des tradierten Handwerks.
Die neuen Puristen…
Solche Rückbesinnungen sind aber immer auch Teil des Wechselspiels der Generationen. Ist es tatsächlich weiterhin mehr en vogue, das nächste, oft übersüßte Rohrzuckerdestillat zu verkosten anstatt sich einmal intensiver mit der großen Vielfalt natürlicher Aromen seiner Herkunft und Vorfahren zu befassen? Erste Anzeichen deuten einen Richtungswechsel an: Bars von Hamburg bis Wien entdecken immer öfter die Lust an Obstbränden und geben mit ihnen diversen Klassikern eine neue Note. Patrick Braun wüsste zig Beispiele zu nennen. So etwa „Schoellmann“ in Offenburg oder die „Black Forest Bar“ in Hamburg. „Obstbrände im Cocktail sind absolut im Kommen und spannend ohne Ende“, so sein eindeutiges Credo in der Runde.
Und parallel dazu macht sich eine neue Generation jüngerer Brenner bemerkbar- ob aus dem Betrieb der Eltern und ihrer Vorfahren heraus oder neu gegründet-, die wieder mit viel mehr Elan und Experimentierfreude sowie einem spürbaren Willen zur Modernität ans Werk der tradierten Obstbrände gehen. Auch das eröffnet gleichzeitig eine neue Vielfalt an Genuss wie auch einer jungen modernen Ansprache in Optik und Profil. Und mit vermehrten Fassausbau bietet man selbst den Fans gereifter Genüsse eine Alternative.
..als unsere neuen Kleinhandwerkshelden
Jedenfalls war die Runde in einer Hinsicht einhelliger Meinung. Das Lokale und Regionale, aber auch das Individuelle und Besondere haben gerade Hochkonjunktur. Und Obstbrände fügen sich in dieses Narrativ wie kaum eine andere Spirituose. Sie sind nicht massen-tauglich. Ihr Aufwand ist hoch und sehr von persönlichem Einsatz ge-prägt. Und hinzu kommt noch die besondere Aufmerksamkeit, die sie im Jahreslauf verlangen. Pflege, Ernte und Verarbeitung erfordern im hohen Maße Zeit und Aufwand. Das lässt sich nicht im großen Stile industriell erledigen, da zu teuer im Verhältnis zum Ertrag. Zugespitzt gesagt: Ethanol, mal fix bei sich eingelagert, lässt sich viel schneller zu einer aromatisierten Spirituose verarbeiten als jede handselektierte Frucht. Wer das erkannt hat und derart sieht, mit welcher Hingabe diese „Puristen vor dem Herrn“ (wiederholter O-Ton im Forum) die meist ultrakleinen Chargen ihrer ausgesuchten Brände erzeugen, genießt demnächst seinen Williams-Tonic vielleicht noch bewusster als einen durch und durch ehrlichen Longdrink. Für die Runde stand so am Ende des Tages als generelles Votum eines außer Frage: Unter den heimischen Obstbrennern schlummern die eigentlichen Klein-handwerkshelden unserer Tage. Und dafür darf man ruhig mal wieder eine Lanze brechen..
Text: Pat Braun & Heinfried Tacke
Pictures: Felix Grotheloh
Taste-Forum: Arthur Nägele, Thomas Weinberger, Pat Braun & Heinfried Tacke